
Und hier nun Teil Zwei des Überblicks über besonders herausragende Beiträge der Berlinale 2025.
Islands (Special)

Hat Tom (Sam Riley, rechts) die hellen Weiten Fuerteventuras satt? | © Juan Sarmiento G. / 2025 augenschein Filmproduktion, LEONINE Studios
Viel Sonne, wenig Verantwortung und Freiheit, meist tun und lassen zu können, was er möchte: Für viele lebt Tom (Sam Riley), der als Tennislehrer in einem Hotel-Resort auf der kanarischen Insel Fuerteventura arbeitet, währenddessen und danach trinkt und sich dann in der Touri-Disko weiter gehen lässt, den Traum der Ungebundenheit. Zumindest klopfen ihm immer wieder ältere Familienväter auf die Schultern und meinen, er habe es genau richtig gemacht. Doch schon nach den ersten Szenen im gleißenden Sonnenlicht von Jan-Ole Gersters Islands erfasst man die Leere und die Schalheit, die Tom inzwischen über sein Dasein auf der Trauminsel empfindet. Als er auf die elegante Anne (Stacy Martin) trifft, die um Tennisstunden für ihren Sohn Anton (Dylan Torrell) bittet, erweckt das in Tom ein wohl lange verdrängtes Begehren nach etwas, das ihm sein aktueller Lebensabschnitt kaum bietet. Und als dann auch noch Annes unsteter Ehemann Dave (Jack Farthing) scheinbar spurlos verschwindet, wird er in die Nöte dieser Familie hineingezogen, als wäre es seine eigene. Ein von sehnsuchtsvollen Suspense-Tönen getragenes Drama hat Regisseur Jan-Ole Gerster, der mit der Tragikomödie Oh Boy 2012 seinen Durchbruch feierte, hier geschaffen. Über weite Strecken legt sich Islands das Gewand eines Krimis an, doch ist zugleich offensichtlich, dass hier der mühsame Weg zu einer schmerzhaften Selbsterkenntnis den eigentlichen und sehr sehenswerten Kern darstellt.
IslandsDeutschland 2025 |
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If I Had Legs I’d Kick You (Wettbewerb)

Kurz vorm Kollaps: Therapeutin und Mutter Linda (Rose Byrne) | © Logan White / © A24
Die Vorannahme, dass Psychotherapeuten ihr eigenes Leben Dank ihrer Fachkenntnisse doch wunderbar im Griff haben sollten, ist einem großen Publikum spätestens mit der US-Sitcom Frasier (1993-2004) widerlegt worden. Und doch überrascht es, als die Protagonistin Linda (Rose Byrne) in If I Had Legs I’d Kick You nach absolut nervenaufreibenden Anfangssequenzen aus ihrem Leben plötzlich Patienten zu Therapiesitzungen empfängt. Denn Linda ist ein Wrack, das für ihre an einer Essstörung leidenden kleinen Tochter verzweifelt versucht, die Fassade einer liebevollen und gefassten Mutter aufrecht zu erhalten. Diese Tochter wird im Verlauf von Mary Bronsteins Film nicht ins Bild treten und nur zu hören sein. Stattdessen richtet sich die wackelige Kamera unentwegt auf Lindas von Nervosität und Abgekämpftheit gezeichnetes Gesicht. Während sie verzweifelt versucht, eine Besserung des Zustands ihrer Tochter zu erwirken, muss sie ihre Wohnung verlassen, weil sich in der Schlafzimmerdecke ein riesiges Loch aufgetan hat und in einem Motel unterkommen. Noch mühsamer wird ihr Leben dadurch, dass ihr Mann auf Dienstreise ist und all die Verantwortung für die Tochter, ihren anstrengenden Job und die Sanierung der Wohnung allein auf ihr lastet. In einen Strudel aus kleinen alltäglichen und monumentalen Katastrophen, plötzlichen Schockmomenten und absurden Situationen führt uns If I Had Legs I’d Kick You. Und Dank einer wirklich großartigen Performance von Rose Byrne geraten wir auch sehr nah an den sehr brüchigen Seelenzustand der Protagonistin. Eine Tragikomödie, die auf nervenzerfasernde Weise zur Empathie statt Verurteilung einlädt.
If I Had Legs I’d Kick YouUSA 2025 |
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Blue Moon (Wettbewerb)

Lorenz Hart (Ethan Hawke) schwärmt für die junge Elizabeth (Margaret Qualley) | © Sabrina Lantos / Sony Pictures Classics
Im vergangenen Jahr auf dem Filmfestival Venedig sprach Schauspieler Ethan Hawke über sein anstehendes Projekt: Es sollte wieder eine Kollaboration mit Richard Linklater, Regisseur von Meisterwerken wie Before Sunrise und Boyhood, werden. Dabei erklärte er, dass das Drehbuch schon seit 12 Jahren fertig sei, aber Linklater darauf gewartet habe, dass Hawke, nun ja, etwas altert und aus seiner Attraktivität herauswächst… Nun war es also soweit und die beiden haben mit Blue Moon ein Biopic über den Broadway-Songschreiber Lorenz Hart (1895–1943) gedreht. Dieser spielt an einem einzigen Abend Ende März 1943 in einem New Yorker Restaurant. Hawke mimt Hart sehr einnehmend als charmante Plaudertasche, die mit allerlei Anekdoten, Ansichten zu Songtexten und klugen Aphorismen ihre Umgebung zu amüsieren und beeindrucken weiß. Und zugleich ist er ein schwerer Alkoholiker, der mit Einsamkeit, unerfüllten Sehnsüchten nach gleichermaßen erwiderter Liebe und einem Karrieretief zu kämpfen hat. All das ist schon spürbar, bevor sein langjähriger Kollaborateur und Komponist Richard Rodgers (Andrew Scott) das Lokal betritt, um die Premiere seines Musicals Oklahoma! zu feiern. Der Abend entwickelt sich für Hart zu einer bittersüßen Mischung aus Zugewandtheit und Abweisung, Bekenntnissen und Ausflüchten. Blue Moon gibt Einblick in die mögliche Gefühlswelt von Hart, der wenige Monate hierauf versterben sollte, und hebt seine in langlebigen Songs verewigten Einsichten über Liebe und gebrochene Herzen aufs berührendste hervor.
Blue MoonUSA / Irland 2025 |
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