Film

Filmkritik: The Shape of Water

FILMFESTSPIELE VENEDIG – WETTBEWERB. Vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs erzählt Regisseur Guillermo del Toro mit The Shape of Water seine eigene Version von Die Schöne und das Biest: Die Schöne kann nicht sprechen. Das Biest stammt aus dem Meer und ist in vielerlei Hinsicht Menschen überlegen. Die sympathischen Freunde der Schönen gehören diskriminierten Minderheiten an. Und der wahre Bösewicht ist ein eindimensional bösartiger Repräsentant des konservativen Amerikas der 60er Jahre.

Das alles wird einem, wie von Guillermo del Toro gewohnt, nicht so schlicht vorgesetzt wie es klingt, sondern mit beeindruckenden visuellen Effekten geschildert. Wir sehen die Heldin dieses Films zunächst in einem Unterwassertraum in einer überfluteten Wohnung über ihrem Bett schweben, bevor wir sie nach ihrem Erwachen im trockenen Realen als Elisa Esposito (Sally Hawkins) kennenlernen. Eine sanfte, schüchterne Frau, die Anfang der 60er in ihrem Appartement im dauerverregneten Baltimore akribisch ihrer Morgenroutine nachgeht: Aufstehen, baden, masturbieren, das Lunchpaket vorbereiten, ihren schwulen älteren Nachbarn Giles besuchen und sich zur Arbeit begeben. Es hat nur kurz den Anschein, als würde die Selbstbefriedigungsszene aus dem düster-märchenhaften Rahmen fallen, denn die weitere Handlung beschäftigt sich stellenweise in sehr expliziter Weise mit sexuellen Bedürfnissen und Grenzüberschreitungen.

Underwater Love

Elisa arbeitet als Reinigungskraft in einem Geheimlabor des US-Militärs – ein Job, bei dem es höchstwahrscheinlich begrüßt wurde, dass Elisa nicht sprechen kann. Während um sie herum die intelligentesten Wissenschaftler Amerikas an neuen Waffen forschen, versuchen Elisa und ihre schlagfertige Kollegin Zelda (Octavia Spencer) das Chaos zu beseitigen, das diese hinterlassen. Eines Tages entdeckt Elisa die Kreatur, die die Wissenschaftler seit kurzem in einem Wassertank gefangen halten: Ein humanoides Fischwesen, das in menschlichem Maße kommunizieren, denken und fühlen und für begrenzte Zeit sogar außerhalb des Wassers atmen kann. Noch dazu hat es bemerkenswert schöne Augen…

Diese Prämisse allein würde schon genügen, um aus The Shape of Water eine reizvolle Liebesgeschichte zu machen. Denn dass diese Kreatur vom US-Militär als Geheimwaffe gegen die Sowjets in Erwägung gezogen wird, dürfte als Widerstand groß genug für die sich anbahnende Romanze sein. Noch dazu ist del Toro und seinem Visual Effects-Team gelungen, der Kreatur ein erstaunlich reizvolles Äußeres zu verleihen, an dem man sich auch als Zuschauer lange nicht sattsehen kann.

Das Böse siegt doch

Doch Guillermo del Toro hat sich weit mehr vorgenommen, als eine ungewöhnliche Liebesgeschichte visuell beeindruckend zu erzählen – leider. Es musste ein Plädoyer für individuelle Lebensweisen, Vielfalt und Toleranz werden, das sich einem einfachen Mittel bedient, um diese Werte dem Zuschauer einzuhämmern: Auftritt Michael Shannon als sadistischer, sexistischer rassistischer, bonbonlutschender Bösewicht Strickland, neuer Leiter des Labors. Es ist faszinierend und erschütternd zugleich, mitanzusehen, wie das Format und die Fähigkeiten eines Michael Shannon (Nocturnal AnimalsBoardwalk EmpireTake Shelter) in diese eindimensionale Rolle hineingepresst werden, die pauschal für das konservative Amerika der 60er Jahre stehen soll.

So wird nicht näher erkundet, weshalb Strickland die gefundene Kreatur als persönlichen Affront begreift und diese nach Belieben quält – es ist einfach so. Bibelfest, mansplainend, anzüglich und mit völlig unbegründeter wachsender Aggressivität breitet sich dieses platte Ärgernis einer Figur hier aus und macht kaputt, was eine nähere Ergründung des besonderen Bandes zwischen Elisa und der Kreatur hätte werden können. Und so mag zwar am Ende von The Shape of Water die Liebe über das Böse in märchenhafter Manier siegen. Im Gedächtnis bleibt aber seltsamerweise der schlecht ausgearbeitete Besiegte.

The Shape of Water

USA 2017

Regie: Guillermo del Toro.

Drehbuch: Guillermo del Toro, Vanessa Taylor

Besetzung: Sally Hawkins, Michael Shannon, Richard Jenkins, Doug Jones, Michael Stuhlbarg, Octavia Spencer

123 Min.

Kinostart Deutschland: 15. Februar 2018

Filmfestspiele Venedig – Wettbewerb

culturshock-Wertung: 6/10

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