Film

Filmkritik: T2 Trainspotting

BERLINALE 2017 – WETTBEWERB außer Konkurrenz. Als nach jahrelangen Andeutungen Ende 2015 schließlich eine Fortsetzung von Danny Boyles Trainspotting (1996) angekündigt würde, pendelten die Reaktionen zwischen zögerlicher Vorfreude und ängstlicher Distanz. Vor allem diejenigen, die als Jugendliche das Original gesehen haben und sich für seine einzigartige Darstellung von Rausch, Elend und ‘Lust for Life‘ begeisterten, konnten sich eine würdige Wiederaufnahme der Geschichte um Rent Boy, Spud, Sick Boy und Begbie kaum vorstellen. Doch Danny Boyle hatte mehr im Sinn als ein Sequel, das uns vor Augen führt, was aus den Figuren von einst geworden ist.

“Tourist in der eigenen Jugend“

Von langbeinigen, osteuropäischen Frauen im kurzen Schottenröckchen wird ein erstaunter Mark ‚Rent Boy‘ Renton (Ewan McGregor) am Flughafen von Edinburgh begrüßt. Es ist das erste Zeichen, dass diese Stadt in den zwanzig Jahren seiner Abwesenheit von Kapitalismus und Globalisierung nicht verschont geblieben ist. Ebenso wie Mark nicht mehr der schmale, blasse Heroinsüchtige von damals ist, sondern ein verheirateter Mann, der sich eine solide, drogenfreie Existenz in Amsterdam aufgebaut hat.

Die Gründe für seine Rückkehr bleiben zunächst im Verborgenen und wir sehen ihn seine Familie (oder was davon übrig ist) im immer noch trostlosen Stadtteil Leith aufsuchen. Es ist ein erstes Highlight in diesem nostalgiegetränkten Film, als Mark in seinem unverändert gebliebenen Jugendzimmer von damals steht, die Iggy Pop-Platte auflegt, nach dem ersten stampfenden Ton aber sofort wieder stoppt. Offenbar würde “Lust for Life“ ansonsten den Reiz am Rausch, dem er sich in seiner Jugend so bedingungslos hingab, sogleich wieder heraufbeschwören.

T2 Trainspotting

20 Jahre später: Spud (Ewen Bremner), Renton (Ewan McGregor), Sick Boy (Jonny Lee Miller) und Begbie (Robert Carlyle)

Ansetzen und zum richtigen Zeitpunkt aufhören – auf diese Weise würde Mark seine kurze Stippvisite in Edinburgh am liebsten fortsetzen. Doch von Anfang an ist da ein Nostalgie-Sog, dem er und die Zuschauer gleichermaßen erliegen. Eingestreute Super 8-Aufnahmen aus seiner mit Sick Boy, Begbie und Spud verbrachten Kindheit, Flashbacks in den Drogenrausch seiner Jugend (letzteres zugleich Originalaufnahmen aus Trainspotting) durchsetzen als Marks Erinnerungen diesen Film. An einer Stelle formuliert Sick Boy treffend, dass Mark ein Tourist in seiner eigenen Jugend sei. Der Zuschauer ist sein Begleiter und wird permanent dazu angehalten, die Bilder von T2 Trainspotting mit denen des Vorgängers zu vergleichen – und die Unwiederholbarkeit des Trainspotting-Erlebnisses von 1996 festzustellen.

T2 Trainspotting

Nicht die ekligste, aber die gefährlichste Toilette Edinburghs: Rentons Wiedersehen mit Begbie

Alte Bekannte

Mit dieser Intention schreitet in T2 Trainspotting ein Plot voran, der mit Irvine Welshs Porno (2006), dem Nachfolgeroman zu Trainspotting, kaum etwas gemein hat. Stattdessen wird uns vor Augen geführt, wie wenig sich Marks Freunde in ihren Kerneigenschaften verändert haben. Ein mittlerweile ergrauter Francis Begbie (Robert Carlyle) hat seinen vitalen Jähzorn während eines langjährigen Gefängnisaufenthalts konserviert. Währenddessen kultiviert Sick Boy (Jonny Lee Miller) weiter seinen verschlagenen Charme. Und Spud (Ewen Bremner) erliegt noch immer seiner zu Herzen gehenden Harmlosigkeit ebenso wie seiner Heroin-Anhängigkeit. Doch die Welt um sie herum ist eine andere geworden, der sie sich nur mühsam anpassen. So sucht Spud, der inzwischen Vater eines entfremdeten Sohnes ist, regelmäßig Trost in Selbsthilfegruppen, obgleich ihm klar ist, dass sein einzig treuer Freund nur Heroin ist.

Die Wiederbegegnung mit Mark ist in ihrer dichten Verschränkung von Surrealem und grauenhaft Realistischem eine der schönsten und zugleich ekligsten Szenen dieses Films geworden. Die anfängliche Feindseligkeit Spuds gleicht bald der Wiedersehensfreude mit seinem alten Freund. Bei Sick Boy hingegen, der inzwischen nur noch Kokain (aber das in rauen Mengen) konsumiert und weiterhin sein schütter gewordenes Haar blondiert, überwiegt noch immer die Trauer um das von Mark entwendete Geld. Nach einer Pub-Schlägerei scheint dies vergessen und er weiht Mark in seinen großen Plan ein: Ein als ‚Saunazentrum‘ deklariertes Bordell zu eröffnen. Dabei assistiert ihnen seine junge Freundin Veronika (Anjela Nedyalkova), die einschlägige Erfahrung in diesem Bereich vorweisen kann.

Mark ist angetan, allerdings mehr von der schönen Veronika als von Sick Boys Plan. Währenddessen bricht Francis Begbie mithilfe eines seinem Wahnsinn angemessenen Plans aus dem Gefängnis aus. In Freiheit stellt er entsetzt fest, dass sein Sohn eine Ausbildung zum Hotelmanager einer Krumme-Dinger-Karriere vorzieht. Und dann auch noch eine erektile Dysfunktion. Wie gut, dass Begbie all seinen Zorn bald auf den zurückgekehrten Mark richten kann.

Noch einmal für Spud

Wir erhalten in T2 Trainspotting damit keinen wirklich eigenständigen Plot, sondern eine Aneinanderreihung von Steilvorlagen, die der Reanimation der Situationen, Spannungen und Weisheiten von einst dienen. Dies gelingt mal mehr, mal weniger. So hätte man auf Marks um die Plagen des Internet und des vorangeschrittenen Konsumterrors erweiterte, mit Inbrunst vorgetragene ‚Choose Life‘-Rede verzichten können – vor allem, wenn sie nur dazu dient, Veronika ins Bett zu kriegen.

Aber zugleich funktioniert diese Reanimation dort gut, wo sie auf ihren eigenen Zweck zurückverweist: Das erneute Durchleben, um sich endlich weiterentwickeln zu können. Auf diese Weise erhält Spud, den diese vergangenen zwanzig Jahre am meisten mitgenommen haben, eine dieser Figur von Herzen gegönnte Erlösungsgeschichte, für die allein sich dieser Film schon lohnt. Und so entfernt sich schließlich auch der Fokus von Rückkehrer Mark und seine nostalgische Sinnsuche. Stattdessen steuert Boyles Drama auf eine Überwindung allen bittersüßen Erinnerns zugunsten einer annehmbaren Gegenwart hin. Das stimmt versöhnlich mit allem, was T2 Trainspotting im Vergleich zu seinem Vorgänger nicht ist und nie sein konnte. Kein würdiger Nachfolger, aber eine würdige Wiederbegegnung.

T2 TrainspottingT2 Trainspotting

Großbritannien 2017

Regie: Danny Boyle. Drehbuch: John Hodge

Besetzung: Ewan McGregor, Ewen Bremner, Jonny Lee Miller, Robert Carlyle

118 Min. Berlinale 2017 – Wettbewerb, außer Konkurrenz

Kinostart Deutschland: 16. Februar 2017

culturshock-Wertung: 6/10

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