Film

Filmkritik: Matangi/Maya/M.I.A.

BERLINALE – PANORAMA DOKUMENTE: Matangi/Maya/M.I.A. von Stephen Loveridge ist ein Dokumentarfilm über eine der streitbarsten Musikerinnen unserer Zeit: Mathangi “Maya” Arulpragasam, bekannt unter ihrem Künstlernamen M.I.A. Diese Doku hätte eigentlich schon 2013 in Begleitung zum damaligen Album Matangi erscheinen sollen. Aber nachdem Loveridge ohne Rücksprache mit der Plattenfirma von M.I.A. einen Teaser veröffentlicht hatte, kam es zum Eklat: Die Plattenfirma ließ den Teaser wieder von der Videoplattform entfernen. Daraufhin verließ Loveridge beleidigt das Projekt und sollte erst einige Jahre später zu ihm zurückkehren.

Eine turbulente Entstehungsgeschichte, die bestens zur Karriere von M.I.A. passt. Aufgrund ihrer konsequenten Verknüpfung von Künstlertum, Aktivismus und manchmal unbegründeter Rebellion hat ihre Karriere schon einige Rückschläge hinter sich. Matangi/Maya/M.I.A. zeichnet diese so steile wie holprige Laufbahn nach und spürt den Gründen für Mayas kämpferische Haltung nach.

Mayas Herkunft ist für Matangi/Maya/M.I.A. so zentral wie für die Musikerin selbst. Nachdem der Einstieg Maya bei den Dreharbeiten zum Musikvideo ihres Songs Borders (2015) zeigt, bewegen wir uns grob chronologisch ausgehend von Mayas Kindheit auf Sri Lanka vor. Wegen des 1983 ausbrechenden Bürgerkriegs auf Sri Lanka, verlassen die damals 8-Jährige, ihre Geschwister und ihre Mutter die Insel Richtung London. Der Vater bleibt zurück und engagiert sich als Widerstandskämpfer für die Tamilen, die eine Unabhängigkeit des von ihnen dominierten Nordens und Ostens von Sri Lanka einforderten. Mayas Äußerungen lassen offen, ob der Vater tatsächlich der paramilitärischen Organisation Tamil Tigers angehörte, oder es beim friedlich-konstruktiven Aktivismus beließ. In einer selbstgedrehten Statement-Sequenz reflektiert sie etwa darüber, was es heißt, Tochter eines Terroristen zu sein.

Eine Herkunft, die etwas bedeuten muss

Je weiter sich Loveridges Doku in Mayas künstlerischem Werdegang voranbewegt, desto häufiger werden die Bezüge zu ihrer Herkunft und der Frage, wie sie mit dieser als Migranten-Tochter in London umgeht. Sie beschließt zunächst Dokumentarfilmerin zu werden und absolviert ein Studium an der Kunsthochschule Central Saint Martins College in London. Danach begleitet Maya für kurze Zeit ihre enge Freundin Justine Frischmann (damals Frontfrau von Elastica) auf Tour. Backstage entstandenes Material zeigt aber, wie unwohl sich Maya in dieser Rolle fühlt. In einem Statement kritisiert sie, dass Justine so viele Menschen mit ihrer Musik erreichen könne, dies aber nie dazu nutzt, eine echte Message zu verbreiten. Hier zeichnet sich Mayas schon fast zwanghafte Verknüpfung von Künstlertum und Aktivismus ab.

Nach dieser Tour dann die Kehrtwende: Maya, zu dieser Zeit 25 Jahre alt und nicht mehr so überzeugt von ihrem Vorhaben Dokumentarfilmerin zu werden, reist für einen Monat zu Verwandten nach Sri Lanka. Die hier entstandenen Aufnahmen zeigen sie umringt von ihren in ärmlichen Verhältnissen lebenden Verwandten. Sie berichten ihr über Repression und Diskriminierung von Tamilen auf der Insel. Aus einem Monat werden zwei und Maya ist schließlich kaum dazu zu bewegen in das „Land der Spice Girls“ zurückzukehren, wie sie an einer Stelle äußert. In Matangi/Maya/M.I.A. wird diese Reise zu ihren Wurzeln sowohl als Initialzündung für ihre Karriere als Musikerin als auch als möglicher Beginn ihrer Radikalisierung hinsichtlich der Anliegen der Tamilen dargestellt.

Matangi/Maya/M.I.A.

Pop, Aktivismus und Authentizität

Geschickt arrangiert Loveridge das Videomaterial und schafft es, neben dieser zentralen Herkunftsthematik Mayas Liebe und Hinwendung zur Musik nicht außer Acht zu lassen. Gezeigt wird, wie sie nach ihrer Reise mit dürftigem Equipment aber viel Kreativität Lyrics schreibt und Beats kreiert, die sich zu etwas Innovativem zusammenfügen. Schon hier fügt sie im Artwork für ihre ersten Mixtapes die Symbolik der Tamil Tigers ein. Deren weibliche Kämpferinnen haben in einem Propagandavideo tiefen Eindruck auf sie hinterlassen. Dass die Organisation von der Regierung Sri Lankas und vom Westen als Terrorgruppe eingestuft wird, die den Tod von Zivilisten in Kauf nimmt, thematisiert sie nicht. Dies schadet ihrem Ruf zunächst nicht. Sie arbeitet mit dem amerikanischen DJ und Produzenten Diplo zusammen, mit dem sie bald auch eine Beziehung führt. 2004 erlebt sie ihren Durchbruch mit dem Song Paper Planes:

Von da an ist es ein steiler Aufstieg, den die Doku grob nachzeichnet. Aus dem Underground-Sternchen wird innerhalb weniger Jahre ein von Musikkritikern verehrter Popstar. 2009 dann das entscheidende Jahr in ihrer Karriere: Maya lebt inzwischen mit ihrem reichen Verlobten Ben Bronfman in L.A., erwartet ihr erstes Kind und performt gemeinsam mit Jay-Z bei den Grammys. Zugleich unterstützt sie aber die tamilischen Proteste gegen den Krieg auf Sri Lanka. In den USA handelt sie sich bald den Ruf als Querulantin und Terror-Sympathisantin ein. Als dann auch noch Lynn Hirschbergs Porträt zu M.I.A. in der New York Times erscheint, in dem die Journalistin Mayas Engagement als politisch naiv und ihre Musik als Agitprop-Pop bezeichnet, steht die Karriere der Musikerin auf der Kippe.

Wenn der Kampf die Kunst überlagert

Dies alles zeichnet Matangi/Maya/M.I.A. in einem Strom von verwackelten Home-Videos, Musikclips, Konzertaufnahmen und Interview-Auszügen nach. Das Ganze fügt sich zu einem beeindruckenden, ungeschliffenen Ganzen zusammen. Loveridge, ein Freund von Maya seit Uni-Tagen, hat dieses Material so geschickt zusammengestellt, dass zwar wichtige Fragen zu Kunst und Aktivismus aufgeworfen, aber nicht eindeutig beantwortet werden. Ob Maya mit dem Radical Chic nur spielt oder ihr Aktivismus auf fundierten Informationen beruht, bleibt unklar. Der Film bezieht dazu nicht explizit Stellung.

Die Deutung wird dem Zuschauer überlassen, und das ist das Beste was Loveridge tun konnte, auch für Maya. Selbst wenn man sie als Terror-Sympathisantin einordnet und sie für fehlinformiert hält, kommt man nicht umhin, zumindest ansatzweise Verständnis für ihre Haltung und Radikalisierung zu entwickeln. Genauso kann man ihr politisches Ansinnen für richtig halten, aber dessen Verknüpfung mit dem Popgeschäft kritisch betrachten. Nur in einem steuert dieser Film auf Klarheit hin: Mayas Standhaftigkeit und ihr Wille, eine mitunter als bedenklich eingestufte Haltung einzunehmen ohne Rücksicht darauf, was dies für ihre Karriere bedeuten wird. Dies verlangt, wenn nicht Bewunderung, dann auf jeden Fall Respekt.

 

Matangi/Maya/M.I.A.Matangi/Maya/M.I.A.

USA / Großbritannien 2018

Regie: Stephen Loveridge

90 Min. Kinostart Deutschland: 22. Novmber 2018

culturshock-Wertung: 6/10

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