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Berlinale 2024 #3: Dostoevskij (Special)

BERLINALE 2024 – SPECIAL: Der Krimiplot der italienischen Miniserie Dostoevskij hat es in sich, aber vor allem die Backstory des rastlosen Ermittlers ist von ungeheurer Intensität.

Nachdem im Sommer 2023 aus Sparzwang die Sektion Berlinale Series aus dem Programm der Berlinale gestrichen wurde, war nicht damit zu rechnen, dass auf dem diesjährigen Festival überhaupt noch Serienformate gezeigt würden. Mit den italienischen Produktionen Supersex und Dostoevskij haben es aber gleich zwei in die Sektion Special geschafft. Im Fall von Dostoevskij, einer sechsteiligen Miniserie von Sky Italia, ein Glück.

Einstieg mit Abschied

Dostoevskij eröffnet mit einem Abschied: In seinem kleinen Haus an einem Fluss in italienischer Provinz-Ödnis liegt Enzo Vitello (Filippo Timi) auf dem Boden und wartet auf den Tod. Die Kamera fängt in kurzen Einstellungen seine Umgebung ein, auf dem Tisch stehen leere Pillendosen ordentlich nebeneinander aufgereiht und aus dem Off verliest Enzos Stimme seinen Abschiedsbrief. Die 23 Jahre Polizeidienst seien nicht der Grund für seinen Suizid, stellt er klar, aber deutet mit einer Umkehr des Spruchs „Guten Menschen widerfährt Gutes“ an, dass er Schuld auf sich geladen habe. Trotz der enormen Pillenmenge lässt der Tod auf sich warten und Enzo erreicht noch ein Handyanruf seines Vorgesetzten Antonio (Federico Vanni), der von einem Blutbad spricht: Eine ganze Familie wurde in ihrem Haus ermordet und der Täter habe einen kryptischen Brief hinterlassen. Daraufhin bäumt sich Enzo auf und erbricht sich im Vorhof seines Hauses, was die Kamera etwas zu explizit einfängt.

Gräulich-trostloser Noir

Rau geht es auch im weiteren Verlauf von Dostoevskij zu und das Regie-Zwillingsduo aus Damian und Fabio D’Innocenzo spart in der Inszenierung nicht mit blankem, trostlosem Sozialrealismus. So ist Enzos Umgebung von Armut, Arbeitslosigkeit und Drogenmissbrauch gezeichnet, alles hat einen körnig-gräulichen Schimmer und ein teils knatternder Soundtrack unterstreicht die desperate Anspannung, unter der Enzo steht.

Ein Zeitsprung nach der Anfangssequenz offenbart, dass sieben Monate seit dem ungelösten ersten Mordfall vergangen sind und weitere, grausame Taten folgten. Zwischen den Opfern gibt es keine Verbindung, es gibt keine feste Methode, aber immer die elaborierten Briefe vom Täter, den sie in Enzos Ermittlungsgruppe „Dostoevskij“ benannt haben. Aber anders als der große russische Romancier Fjodor Dostojewski ist dieser Täter Misanthrop durch und durch und misst dem Leben keinerlei Wert bei: „Ich habe euch von der Krankheit namens Leben geheilt“, schreibt er in einem seiner Briefe und fügt detaillierte Schilderungen zum Todeskampf der jeweiligen Opfer an.

Da Enzos Team mit den Ermittlungen nicht vorankommt, stellt ihm Antonio den jüngeren, aufstrebenden Fabio (Gabriel Montesi) an die Seite. Enzo, ohnehin schon keine zutrauliche Person, ist Fabio von Beginn an ein Dorn im Auge. Zudem plagen ihn seine weiterhin bestehenden Suizidgedanken, eine Darmerkrankung (die Darmspiegelung wird uns auch nicht erspart) und die Drogensucht seiner erwachsenen Tochter Ambra (Carlotta Gamba). Diese haust mit anderen Junkies in einer heruntergekommenen Unterkunft und will von ihrem Vater nichts wissen. Zwischenzeitlich scheint es zu einer Annäherung zwischen den beiden zu kommen, die dann Ambra aber mit einer drastischen Eskalation sabotiert.

Bis zum Unerträglichen und darüber hinaus

Harscher Sozialrealismus und menschliche Abgründe ziehen sich durch das bisherige Werk der Regisseure D’Innocenzo. Ihr Spielfilmdebüt Boys Cry – 2018 in der Berlinale-Sektion Panorama vorgestellt – handelte von zwei jungen Freunden, die unverschuldet in die Fänge eines römischen Mafiaclans geraten, ihr letzter Film America Latina befasste sich mit einem scheinbar unbescholtenen Zahnarzt und Familienvater, der eines Tages ein gefesseltes Mädchen in seinem Keller entdeckt. Doch in Dostoevskij paart sich die Düsternis des Plots noch zusätzlich mit einer bewussten Ungeschliffenheit der Bilder. Alles, was als annehmbar, gar angenehm, durchgehen könnte, wird beschmutzt. Selbst die Aufnahmen, die eine sonnenbeschienene Ambra zeigen, sind von einem grünlich-kränklichen Farbstich durchzogen, nichts ist schön in Enzos Welt.

Und so wundert es auch nicht, dass sich der Ermittler teilweise seltsam angesprochen und erkannt fühlt in den menschenverachtenden Briefen von „Dostoevskij“. An einer Stelle erklärt Enzo Antonio gar, dass er überzeugt sei, die Welt gehe gerade unter. Glücklicherweise stiehlt sich das Drehbuch von Dostoevskij aber nicht davon, wenn es darum geht, Enzos Weltsicht und Selbstverachtung zu erklären. Ganz im Gegenteil: Es liefert eine schwer erträgliche Antwort und schockierende Wendungen. In ihrer Gesamtheit ist diese Serie von ungeheurer Intensität, die zwar in manchen Szenen übersteuert wird, aber schlussendlich eine Sogwirkung entfaltet, der man sich nur schwer entziehen kann. Bis zum Schluss bleibt die Hoffnung, dass mit der Aufklärung der Mordserie auch eine Katharsis des Protagonisten wie der Schauenden einhergeht. Aber diesen Trost gönnen uns die D’Innocenzos nicht, nur Aufgewühltheit.

Dostoevskij

Italien 2024
REGIE & DREHBUCH: Damiano & Fabio D’Innocenzo
KAMERA: Matteo Cocco
BESETZUNG: Filippo Timi, Gabriel Montesi, Carlotta Gamba, Federico Vanni
279 Minuten (6-teilige Miniserie)
Serienstart Deutschland: unbekannt
Gesehen auf der Berlinale 2024 – Special

culturshock-Wertung: 7/10

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