Film

Filmkritik: Lady Bird

Scheiternde Romanzen, zerbrechende Freundschaften, Streit mit der Mutter und eine ungewisse Zukunft: Greta Gerwigs zwischen Leichtigkeit und Betrübtheit schwankende Komödie Lady Bird setzt sich intensiv mit den Erfahrungen eines Mädchens kurz vor ihrem High-School-Abschluss und der Abnabelung von der Familie auseinander. Ihr Film ist zwar keine Neuerfindung des Coming-of-Age-Genres, aber hebt auf herzerwärmende Weise das Besondere im Gewöhnlichen der Jugend hervor.

Gegen die Gewöhnlichkeit

Sacramento 2002: Dass der 17-jährigen Christine McPherson (Saoirse Ronan) das Gewöhnliche an ihrer Umgebung widerstrebt, erkennt man an dem missmutigen Blick, mit dem sie auf der Heimfahrt ihre Nachbarschaft straft, an ihren rosarot gefärbten Haaren und ihrem Wunsch, von Familie und Freunden mit dem eigens gewählten Namen „Lady Bird“ angesprochen zu werden. Es ist das Abschlussjahr an der katholischen Mädchenschule, die sie besucht. Christine arbeitet hart daran, es zum Sprungbrett für eine Zukunft an der Ostküste werden zu lassen – weit weg von ihrer Mutter (Laurie Metcalf). Diese versucht vergebens, ihrer Tochter den Wunsch nach einem Leben im teuren New York madig zu machen und sie zu überzeugen, wie gut sie es bei ihrer Familie in Sacramento hat.
Der Großteil der Interaktionen zwischen Christine und ihrer Mutter besteht aus passiv-aggressivem Genörgel und Streit um die richtigen Zukunftspläne. Zu ähnlich scheinen die beiden einander, als dass sich in diesen turbulenten Jahren Harmonie zwischen ihnen einstellen könnte. Dies zeigt uns Gerwig ab der ersten Einstellung, in der sich die beiden in exakt gleicher Schlafposition spiegeln, die Köpfe einander zugewandt.

Charaktertwists aus der Kalten

Aber es ist nicht nur diese schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, die Gerwig realistisch und ohne sich auf eine Seite zu schlagen, porträtiert. Lady Bird erzählt auch von den unerwarteten Charakterwendungen der Pubertät. So erleben wir mit Christine das (von Beginn an vorhersehbare) Scheitern zweier Romanzen, die sie beide verändert zurücklassen.
Lady Bird

Zu ähnlich, als dass Harmonie herrschen könnte: Lady Bird (Saoirse Ronan) und ihre Mutter (Laurie Metcalf)

Wir sehen, wie Christine ihre gutmütige Freundin Julie (Tracy Letts) für eine prätentiöse Clique links liegen lässt, ihr komödiantisches Talent entdeckt und wieder aufgibt und wie sie versucht ihre Herkunft aus bescheidenem, von Geldsorgen geplagtem Hause zu leugnen. In all ihren Bestrebungen als ‚besonders‘ bewundert zu werden, wird Christine zu ihrem Missmut im besten Fall als sonderbar wahrgenommen. Und dennoch schafft es Gerwigs feinfühliges Skript, dass man niemals die Sympathie für die linkische Heldin verliert. Man kann genauso viel mit ihr als auch über sie lachen.

Das Besondere am Gewöhnlichen

Alles in allem schildert Lady Bird nichts äußerst Dramatisches. Christine hat keine, über die üblichen Wirren der Pubertät hinausgehenden, traumatischen Erlebnisse. Sie durchlebt eine recht normale Mittelschichtsjugend mitsamt der sie begleitenden Euphorie, Enttäuschungen, Verletzungen und dummen Fehlern. Doch gerade der Blick aufs Gewöhnliche gelingt Gerwig besonders gut. Mit viel Liebe fürs Detail hat sie glaub- und liebenswürdige Charaktere erschaffen. Sie zeichnet peinliche und bedrückende Situationen nach, die Wiedererkennungswert haben für jeden, der sich an seine Jugend zurückerinnern kann (oder mag).
Vor allem die Momente, in der sich Christine mit Charakterschwäche und fehlender Einsicht hervortut, werden einige erwachsene Zuschauer mit Wehmut betrachten. Denn letzten Endes beeindruckt Lady Bird nicht bloß mit einem besonderen Blick fürs Gewöhnliche, sondern auch mit der Hervorhebung des Besonderen im Gewöhnlichen der Jugend. Kein weltbewegender, aber ein bewegender Film.

Lady BirdLady Bird

USA 2017. Länge: 93 Min.

Regie & Drehbuch: Greta Gerwig

Besetzung: Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Lucas Hedges, Timothée Chalamet

Kinostart Deutschland: 19. April 2018

Culturshock-Wertung:
7 out of 10 stars (7 / 10)

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