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Feature: culturtape – Berlinale 2019

Berlinale 2019

Arteha Franklin in AMAZING GRACE | © Amazing Grace Movie, LLC

Mit dem morgigen Publikumstag geht sie zu Ende, die Berlinale 2019 – und sie war…interessant, aber mitunter etwas bedrückend. Vielleicht war meine Filmauswahl nicht abwechslungsreich genug, aber insgesamt überwog die schwere Kost und Lacher waren eine Seltenheit. Etwas Niedergeschlagenheit und Ungewissheit schien in der Luft zu liegen, was vielleicht auch daran lag, dass es das letzte Festival unter Leitung von Dieter Kosslick war und noch niemand weiß, wie und in welche Richtung sich die Berlinale verändern wird. Und so ist auch die Tracklist der diesjährigen Berlinale nicht gerade von Lebenslust und Leichtigkeit durchzogen, aber zumindest abwechslungsreich. Hier nun eine Songauswahl aus den Berlinale-Filmen 2019:

Synonyme

Einen rätselhaften, mitunter nervtötenden Protagonisten präsentierte und der israelische Regisseur Nadav Lapid in Synonyme. Yoav ist ein junger Israeli, der seine Herkunft gänzlich ablegen und ein neues Leben als Franzose in Paris beginnen will. Was witzig anfängt, wird bald absurd, aber in diese Absurdität mischt sich nach und nach der Ernst. Spätestens, wenn Yoav seinen neuen Pariser Freunden von seinem Wehrdienst in Israel erzählt, beginnt man das Ausmaß seiner Identitätskrise zu begreifen. Als Trigger, um sich zurückzuerinnern dient ihm der folgende, nonchalante Song der Pop/Jazz-Combo Pink Martini, dessen Rhythmus ihn bei den Übungen am Maschinengewehr unterstützt hat – und schon ist die Leichtigkeit wieder dahin…

Mid90s

Jede Menge Songs hatte Jonah Hills Regiedebüt Mid90s zu bieten – und wie man sich denken kann, stammen sie alle aus den 90ern. Vor allem der US-Rap dieser Zeit spielt eine prägnante Rolle in dieser Coming-of-Age-Tragikomödie. Schließlich versucht der 13jährige Stevie sehr eifrig, sich in eine Clique aus Skateboardern zu integrieren, samt entsprechendem Lifestyle. Es gelingt und Stevie findet Freundschaft und Anerkennung, nur sein Alkoholkonsum gerät zwischenzeitlich außer Kontrolle. Das Ende von Mid90s verbucht dies als nochmal glimpflich ausgegangene Jugendsünde und beruhigt uns im Abspann mit den Klängen des G-Funk:

Der Goldene Handschuh

Für ziemlich viel Aufruhr sorgte Fatih Akins Romanverfilmung auf der Berlinale. Zunächst wurde Der Goldene Handschuh mit Spannung erwartet, aber bei den ersten Pressevorführungen waren einige schon schwer entsetzt und angewidert. Sicher, die Szenen, in denen Fritz Honka Frauen ermordet, sie zersägt und die Leichenteile in einem Wandverschlag deponiert, sind keine leichte Kost und verständlicherweise nicht jedermanns Sache. Aber vielleicht hat auch die musikalische Untermalung des Ganzen mit Honkas Lieblingsschlagern zum Unmut beigetragen, darunter folgende Perle:

Amazing Grace

Mit Amazing Grace präsentierte Alan Elliott ein fast für immer verschütt gegangenes Stück Musik- und Filmgeschichte: im Januar 1972 nahm Aretha Franklin gemeinsam mit einem Gospelchor ihr Live-Album Amazing Grace in der New Temple Missionary Baptist Church in Los Angeles auf. Gefilmt wurden die zweitägigen Aufnahmen von Regie-Legende Sydney Pollack. Doch aufgrund technischer und rechtlicher Probleme konnten die Aufnahmen nie veröffentlicht werden, bis sich Alan Elliott der Sache annahm. Wer allerdings erwartet hatte, im Kinositz zu Chain of Fools oder Think tanzen zu können, wird zu Beginn des Dokumentarfilms von Reverend James Cleveland eines Besseren belehrt: Aretha Franklin gibt hier die Songs aus ihrer Jugend zum Besten – und das sind alles inbrünstige Gospel-Hymnen. Zu sehen gab es eine junge, aufgeregte und sehr ernste Aretha, die aber mit den etwas schnelleren Songs auch jeden Atheisten mitreißen kann:

Vice

Ok, nun schummle ich ein wenig, denn der folgende Song ist meiner Erinnerung nach gar nicht in Adam McKays satirischem Biopic Vice zu hören. Aber er findet im aktuellen Trailer Verwendung und passt wie die Faust aufs Auge. Denn in Vice geht es um den Aufstieg von Dick Cheney zum übermächtigen Vizepräsidenten an der Seite von (und in Konkurrenz zu) George W. Bush. Angefangen bei seinen Eskapaden als daueralkoholisierter Rüpel in der College-Zeit schildert der Film, wie sich Cheney hochkämpft, -schleimt- und -lügt, bis er all seinen Widersachern als das erscheint, was Brandon Flowers im folgenden Track kritisch-inbrünstig besingt:

Bonustrack: The Kindness of Strangers

Zurück zum Anfang: Eröffnet wurde die 69. Berlinale von Lone Scherfigs lauwarmem Drama The Kindness of Strangers. Die bemüht emotionalen Momente (und davon gab es viele) dieses Films wurden von ziemlich penetranten musikalischen Kompositionen untermalt. Doch zumindest gab es zwei Musikeinsätze, an die ich gern zurückdenke: Protagonistin Clara findet zwischenzeitlich Zuflucht in einem russischen Restaurant, das an Abenden mit geschlossener Gesellschaft eine Balalaika-Band engagiert. Diese gibt vorzugsweise Cover-Versionen amerikanischer Rock-Klassiker zum Besten, House of the Rising Sun etwa. Die Original-Band aus dem Film kann ich leider nicht auftreiben, daher muss diese Unplugged-Version zweier Typen herhalten. Warum der eine sich eine McDonald’s-Tüte über den Kopf gestülpt hat, weiß ich nicht. Aber die Darbietung reicht völlig an die im Film heran. Ein etwas düsteres aber kraftvolles Ende für diese Berlinale:

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